Tag 12 Rückwärts

Ein frohes neues Jahr!
Heute gab es schon wieder die erste Probe mit Durchlauf. Co Regisseurin und Choreographin Rica Blunck war da. Alles geht in die richtige Richtung. Aber nach oben ist noch gut Luft.

Hier das Zitat des Tages:

Zitat 1_Puderzucker_Probenfoto_von_bigbasspic.de „Hamburg ist wie ein Urwald. Manchmal habe ich keine Probleme mich in ihm zu verlaufen. Die Häuser sind die Bäume, der Verkehr die Lianen, die Menschen die wilden Tiere. Als ich vor Ewigkeiten aus Köln hierher kam dachte ich, Köln sei der Dschungel den es zu bezwingen gilt. Dann wusste ich, Köln ist eine große, gemütliche Wiese. Und Hamburg wird das auch sein, wenn ich es eines Tages für eine noch viel größere Stadt verlassen werde.“

Herzlich willkommen bei PuderZucker. Heute  in vier Wochen ist Premiere. Ich und das ganze Team stecken tief in den Proben. Das schon nächste Woche Weihnachten ist geht dabei fast völlig unter. Ab jetzt findet ihr hier die täglichen oder zweitäglichen Neuigkeiten was alles passiert, damit ihr am 14.Januar ein Mords Hamburg Roadmovie zu sehen und hören bekommt. Ahoi. Eure Catharina aka Puder

S31 – Richtung Wilhelmsburg, 14.6.2011

“Manniiieeee – Hast Du mal den 17’’ Maulschlüssel?“ hallt es über den Parkplatz.

Ich habe eine neue Lieblingsbeschäftigung gefunden. Durch das offene Studiofenster den Mechanikern zuzuhören, deren Autowerkstatt und Büro unser Studio einrahmen.
So, aus dem Zusammenhang gegriffen, ist das gar nicht so lustig. Aber wenn ihr sie hören könntet! Und die Zeitpunkte, wenn sie unseren Studioalltag durchbrechen, sind wirklich gut gewählt:

Wir versuchen gerade den ultimativen Moment auf Band zu bringen und von draußen erschallt plötzlich ein „ Neeee, so was gibt es in unserer Werkstatt nicht. Sag ihm, das ist nicht von uns, das muß jemand anderes vermasselt haben.“ Oder „Joh, eine Kraftstoffpumpe haben wir da!“ Die beiden scheinen es zu lieben mit dem Telefon am Ohr den Platz zu überqueren und die Welt wissen zu lassen, was gerade passiert.

Ihre akustischen Auftritte sind kleine Pfeilspitzen die unsere musikalischen Kosmen piercen und uns immer wider zeigen wo der Hammer hängt.

Top 1  der Autowerkstatt Ereignisliste führt folgende Begegnung mit der schraubenden Art an:

Wir nehmen gerade mit unserer Gitarristin ein immer wiederkehrendes Lick auf.

Bah – Bah – Ba – Ba. Bah – Bah – Ba – Ba. Bah – Bah – Ba – Ba. Bah – Bah – Ba – Ba.

Es klingelt. Mein Produzent geht zur Tür und öffnet. “Sach mal, habt ihr auch noch andere Töne? Das ist ja nicht zum Aushalten! Wie lange dauert das denn noch?“ “Noch ein bisschen. Bis es fertig ist. Dann kommen andere Töne.“ “Nee, nee, nee, da muß ich erst mal Musik anmachen damit ich nicht verrückt im Kopf werde.“

Sagt’s und verschwindet Richtung Büro, von wo aus kurze Zeit später ein ohrenbetäubendes Brett „Ministry“ erschallt, was, da unser Aufnahmeraum – wie schon oben erwähnt – an das Büro der Werkstatt grenzt, jetzt die Bah – Bah – Ba – Bas auf dem Tonband untermalt.

Als ich eine viertel Stunde später Kaffee holen gehe und am Büro vorbei komme sehe ich, das der große, weiße Hund alleine im Büro liegt, dessen Scheiben vom Lärm erzittern. Von unseren Schraubern weit und breit keine Spur.

Doch die Revanche kommt doppelt.

Am späten Nachmittag kann es sich  Mr.Sachmal nicht nehmen lassen vor (!) seiner Werkstatt, neben (!) unserer Haustür die Farbe von einem Auto zu flexen.

Määääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääh.

Sach mal, hast Du noch andere Töne? Denke ich und muß lachen.

Metrobus, Linie 3, Richtung Hafencity, 9.2.2011

Mikroben. Busse sind bestimmt Plätze, wo ganz viele Mikroben lauern.
Und bestimmt Busse, wie dieser, zu dieser Jahreszeit. Und dazu noch voll. Ansammlungen von Menschen. Sind in diesem Zusammenhang zu vermeiden. Nix Menschen. Nix volle Busse. Gleich drastische Reduktion von Mikroben.
So weit so gut.

Nur, wie komme ich dann kostengünstig von A, meinem Zuhause, nach B, meinem Treffen in der Shanghaiallee?

Also rein in die rollende Mikrobenlaube, Hände in die Taschen und durch. Als ich mir auch noch intuitiv die Mütze aufziehe, ich bin zum x-ten mal diesen Winter angeschlagen, erinnere ich mich an die Geschichte mit mir und den Läusen:

Es begab sich im vorletzten Jahr, kurz vor Weihnachten, als ich von einem Theaterworkshop in Berlin zurückkam und mein Kopf anfing, mir Signale zu senden. Ich verstand nichts. Kratzte mich und dachte nicht weiter drüber nach. War ich doch durch meine komplette Kindheit gekommen, ohne die Bekanntschaft mit Herrn und Frau Laus zu machen. Flachste noch rum. Kokettierte mit dem Gedanken. Lies andere mein Haupt inspizieren. Aber niemand fand nichts. Siehste! Fehlalarm!
Wusste ich’s doch!

Bis Montagnachts. Ich stand hundemüde vor dem Badezimmerspiegel und putze Zähne, – Nein, die Party konnte mir gestohlen bleiben. Ich gehe gleich ins Bett und habe kein schlechtes Gewissen. Ich werde mich gut dabei fühlen zu schlafen. Einfach mal früh zu schlafen. – als die kleine Halogenlampe über mir ein riesiges „Spotlight“ auf meinen Haaransatz warf.

TRARA!
Willkommen, Bienvenue, Wellcome!
Auftritt Frau Laus. Oder Herr Laus. Egal.
Gestatten, mein Name ist L-A-U-S.

Da saß das Vieh. Ein richtiges Prachtexemplar. Ausgeleuchtet wie ein Megastar. Seelenruhig, sich elegant an einer Harrsträhne festhaltend, wollte es mich von seiner Existenz überzeugen. Ich schluckte kurz. Schmiss die Zahnbürste ins Waschbecken und orderte meinen Freund im Befehlston ins Badezimmer. Sehen zwei paar Augen das gleiche?

Meine Angewohnheit ist, in Extremsituationen schlagartig extrem nüchtern zu werden, um Herrin der Lage zu bleiben. Also Schlafen ade. Ausziehen rückwärts. Mantel an und ab zur Nachtapotheke.
Wusste ich’s doch!

Dort habe ich bei der amüsierten Apothekerin – war meine Coolheit nur gefühlt? – das komplette, modernste, Vernichtungspaket, samt aller nötigen Accessoires, und das zu Haute Coiture Preisen, geordert. Auf dem Absatz kehrt gemacht.

Und dem Läusegenozid fest ins Auge  gesehen.

4.12. München, S1, Stadt Einwärts vom Flughafen

In den Eingeweiden einer fremden Stadt.
München begrüßt mich mit Sonnenschein. Der Zug ist voll. Besser gesagt voll gestopft mit Koffern und Taschen von all denen die mit einem Flugzeug aus dem Himmel gelandet sind und nun von der grünen Wiese direkt ins Zentrum der Stadt wollen.

Auf dem Vierer links von mir sitzt eine braun gebrannte Dame, irgendwie prollig und überpflegt zu gleich, irgendwo ab sechzig aufwärts. Ihr Arm ist mit einer diamantbesetzten Uhr beschmückt. An den Fingern glitzern weitere Klunker. Unter der ganzen Pracht erstreckt sich eine Blumen-Hennamalerei vom Zeigefinger bis weit den Arm hinauf. Alles ist so taufrisch und echt wie die Trägerin scheinen möchte.

Gut. Solche Schrulligkeiten haben meine Sympathie. Habe ich doch die Überzeugung, das nach außen Gelebte Auffälligkeiten eher von geistiger Gesundheit sprechen, als zu viel Angepasstheit. Wahre Abgründe lauern oft hinter einer „normalen“ Fassade. Ich hatte da so meine Begegnungen…

Meine „Grill Gretel“, schräg links, ist vergnügt. Blubbert ihren Banknachbarn voll, indem sie jede Station kommentiert. „Oh nein, wo fährt den deeer Zug jetzt her. Ich komme ja niiie an.“ Als wüsste sie nicht, in welcher Bahn sie sitzt.

Der Zug wird noch voller. Eine uralte Bayrin setzt sich mir gegenüber. Misses „Oh nein“ hat angefangen zu telefonieren. Ziemlich große Teile des Wagens können ungefragt mithören. Ich kombiniere: Urlaub ( „Habe vorgestern noch im Meer gebadet“), Ägypten? („Ramsi ich soll Dich von Oma grüßen“) so international sieht die Dame gar nicht aus, Hochschwangere Gesprächspartnerin („Was, jeder Zeit?“), Abholung am Ostbahnhof durch die Nachbarin („Ich  muß ihr aber sagen das dauert noch“).  Bei der dritten Gesprächsunterbrechung („Mein Gott dieses Handy!“), samt Piepen bei jeder neu gewählten Ziffer, sieht mich die uralte Bayrin von gegenüber an und sagt: „ Die is kroonk“.

An der Fraunhofer Straße erreiche ich wieder die Erdoberfläche. Hallo München, hier bin ich!