Bus 181 Richtung Niendorf

Jetzt ist es schon wieder Frühling. Ich sitze hier im Bus und sortiere meine Handtasche. Im laufe der letzten Wochen hat sich ein ganzes Universum darin breitgemacht. Steine, Federn, Kosmetikproben, ein Lolli, natürlich ein Lippenstift, Müll, diverse Zettel. Als ich sie durchsehe finde ich das hier. Geschrieben kurz vor Weihnachten:

Ich habe die Hosen gestrichen voll. Vor kurzem bin ich Bahn gefahren und habe ein Video gemacht, was sehr traurig ist. Auf wunderschöne Musik. Ich habe die Hosen gestrichen voll. Ich hab’s gemacht, und jetzt stehe ich hier und warte auf Antwort. —–.
Sowieso. So ist das wohl mit dem CDs herausbringen. Kurz bevor es losgeht passiert gar nichts. Nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Ohne zu wissen, ob und überhaupt was zurückkommt. Ich fühle mich komplett unzulänglich. Ich wache nachts auf und höre der Stille und der Dunkelheit zu. Was, wenn nichts passiert? Ich setze gerade alles auf eine Karte. Was, wenn nichts passiert? Ich habe etwas zu verlieren. Was, wenn nichts passiert? Die Dunkelheit schweigt. So geht das seit Tagen. So geht das seit Nächten.

Ich übe, keine Angst zu haben. Hab ich aber. Mit viel Unterstützung von zu Hause oder von meiner Liebe kann ich nicht rechnen. Dafür ist das hier schon zu oft passiert. Ohne das Ticket für die Unsterblichkeit. Ist mir nicht egal, aber ich will mich nicht davon abhängig machen. Ich muß tun, was ich tun muß. Muß ich wirklich. Und ich sage Euch, ich habe die Hosen gestrichen voll.

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S31 – Richtung Wilhelmsburg, 14.6.2011

“Manniiieeee – Hast Du mal den 17’’ Maulschlüssel?“ hallt es über den Parkplatz.

Ich habe eine neue Lieblingsbeschäftigung gefunden. Durch das offene Studiofenster den Mechanikern zuzuhören, deren Autowerkstatt und Büro unser Studio einrahmen.
So, aus dem Zusammenhang gegriffen, ist das gar nicht so lustig. Aber wenn ihr sie hören könntet! Und die Zeitpunkte, wenn sie unseren Studioalltag durchbrechen, sind wirklich gut gewählt:

Wir versuchen gerade den ultimativen Moment auf Band zu bringen und von draußen erschallt plötzlich ein „ Neeee, so was gibt es in unserer Werkstatt nicht. Sag ihm, das ist nicht von uns, das muß jemand anderes vermasselt haben.“ Oder „Joh, eine Kraftstoffpumpe haben wir da!“ Die beiden scheinen es zu lieben mit dem Telefon am Ohr den Platz zu überqueren und die Welt wissen zu lassen, was gerade passiert.

Ihre akustischen Auftritte sind kleine Pfeilspitzen die unsere musikalischen Kosmen piercen und uns immer wider zeigen wo der Hammer hängt.

Top 1  der Autowerkstatt Ereignisliste führt folgende Begegnung mit der schraubenden Art an:

Wir nehmen gerade mit unserer Gitarristin ein immer wiederkehrendes Lick auf.

Bah – Bah – Ba – Ba. Bah – Bah – Ba – Ba. Bah – Bah – Ba – Ba. Bah – Bah – Ba – Ba.

Es klingelt. Mein Produzent geht zur Tür und öffnet. “Sach mal, habt ihr auch noch andere Töne? Das ist ja nicht zum Aushalten! Wie lange dauert das denn noch?“ “Noch ein bisschen. Bis es fertig ist. Dann kommen andere Töne.“ “Nee, nee, nee, da muß ich erst mal Musik anmachen damit ich nicht verrückt im Kopf werde.“

Sagt’s und verschwindet Richtung Büro, von wo aus kurze Zeit später ein ohrenbetäubendes Brett „Ministry“ erschallt, was, da unser Aufnahmeraum – wie schon oben erwähnt – an das Büro der Werkstatt grenzt, jetzt die Bah – Bah – Ba – Bas auf dem Tonband untermalt.

Als ich eine viertel Stunde später Kaffee holen gehe und am Büro vorbei komme sehe ich, das der große, weiße Hund alleine im Büro liegt, dessen Scheiben vom Lärm erzittern. Von unseren Schraubern weit und breit keine Spur.

Doch die Revanche kommt doppelt.

Am späten Nachmittag kann es sich  Mr.Sachmal nicht nehmen lassen vor (!) seiner Werkstatt, neben (!) unserer Haustür die Farbe von einem Auto zu flexen.

Määääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääh.

Sach mal, hast Du noch andere Töne? Denke ich und muß lachen.

Metrobus, Linie 3, Richtung Hafencity, 9.2.2011

Mikroben. Busse sind bestimmt Plätze, wo ganz viele Mikroben lauern.
Und bestimmt Busse, wie dieser, zu dieser Jahreszeit. Und dazu noch voll. Ansammlungen von Menschen. Sind in diesem Zusammenhang zu vermeiden. Nix Menschen. Nix volle Busse. Gleich drastische Reduktion von Mikroben.
So weit so gut.

Nur, wie komme ich dann kostengünstig von A, meinem Zuhause, nach B, meinem Treffen in der Shanghaiallee?

Also rein in die rollende Mikrobenlaube, Hände in die Taschen und durch. Als ich mir auch noch intuitiv die Mütze aufziehe, ich bin zum x-ten mal diesen Winter angeschlagen, erinnere ich mich an die Geschichte mit mir und den Läusen:

Es begab sich im vorletzten Jahr, kurz vor Weihnachten, als ich von einem Theaterworkshop in Berlin zurückkam und mein Kopf anfing, mir Signale zu senden. Ich verstand nichts. Kratzte mich und dachte nicht weiter drüber nach. War ich doch durch meine komplette Kindheit gekommen, ohne die Bekanntschaft mit Herrn und Frau Laus zu machen. Flachste noch rum. Kokettierte mit dem Gedanken. Lies andere mein Haupt inspizieren. Aber niemand fand nichts. Siehste! Fehlalarm!
Wusste ich’s doch!

Bis Montagnachts. Ich stand hundemüde vor dem Badezimmerspiegel und putze Zähne, – Nein, die Party konnte mir gestohlen bleiben. Ich gehe gleich ins Bett und habe kein schlechtes Gewissen. Ich werde mich gut dabei fühlen zu schlafen. Einfach mal früh zu schlafen. – als die kleine Halogenlampe über mir ein riesiges „Spotlight“ auf meinen Haaransatz warf.

TRARA!
Willkommen, Bienvenue, Wellcome!
Auftritt Frau Laus. Oder Herr Laus. Egal.
Gestatten, mein Name ist L-A-U-S.

Da saß das Vieh. Ein richtiges Prachtexemplar. Ausgeleuchtet wie ein Megastar. Seelenruhig, sich elegant an einer Harrsträhne festhaltend, wollte es mich von seiner Existenz überzeugen. Ich schluckte kurz. Schmiss die Zahnbürste ins Waschbecken und orderte meinen Freund im Befehlston ins Badezimmer. Sehen zwei paar Augen das gleiche?

Meine Angewohnheit ist, in Extremsituationen schlagartig extrem nüchtern zu werden, um Herrin der Lage zu bleiben. Also Schlafen ade. Ausziehen rückwärts. Mantel an und ab zur Nachtapotheke.
Wusste ich’s doch!

Dort habe ich bei der amüsierten Apothekerin – war meine Coolheit nur gefühlt? – das komplette, modernste, Vernichtungspaket, samt aller nötigen Accessoires, und das zu Haute Coiture Preisen, geordert. Auf dem Absatz kehrt gemacht.

Und dem Läusegenozid fest ins Auge  gesehen.

4.12. München, S1, Stadt Einwärts vom Flughafen

In den Eingeweiden einer fremden Stadt.
München begrüßt mich mit Sonnenschein. Der Zug ist voll. Besser gesagt voll gestopft mit Koffern und Taschen von all denen die mit einem Flugzeug aus dem Himmel gelandet sind und nun von der grünen Wiese direkt ins Zentrum der Stadt wollen.

Auf dem Vierer links von mir sitzt eine braun gebrannte Dame, irgendwie prollig und überpflegt zu gleich, irgendwo ab sechzig aufwärts. Ihr Arm ist mit einer diamantbesetzten Uhr beschmückt. An den Fingern glitzern weitere Klunker. Unter der ganzen Pracht erstreckt sich eine Blumen-Hennamalerei vom Zeigefinger bis weit den Arm hinauf. Alles ist so taufrisch und echt wie die Trägerin scheinen möchte.

Gut. Solche Schrulligkeiten haben meine Sympathie. Habe ich doch die Überzeugung, das nach außen Gelebte Auffälligkeiten eher von geistiger Gesundheit sprechen, als zu viel Angepasstheit. Wahre Abgründe lauern oft hinter einer „normalen“ Fassade. Ich hatte da so meine Begegnungen…

Meine „Grill Gretel“, schräg links, ist vergnügt. Blubbert ihren Banknachbarn voll, indem sie jede Station kommentiert. „Oh nein, wo fährt den deeer Zug jetzt her. Ich komme ja niiie an.“ Als wüsste sie nicht, in welcher Bahn sie sitzt.

Der Zug wird noch voller. Eine uralte Bayrin setzt sich mir gegenüber. Misses „Oh nein“ hat angefangen zu telefonieren. Ziemlich große Teile des Wagens können ungefragt mithören. Ich kombiniere: Urlaub ( „Habe vorgestern noch im Meer gebadet“), Ägypten? („Ramsi ich soll Dich von Oma grüßen“) so international sieht die Dame gar nicht aus, Hochschwangere Gesprächspartnerin („Was, jeder Zeit?“), Abholung am Ostbahnhof durch die Nachbarin („Ich  muß ihr aber sagen das dauert noch“).  Bei der dritten Gesprächsunterbrechung („Mein Gott dieses Handy!“), samt Piepen bei jeder neu gewählten Ziffer, sieht mich die uralte Bayrin von gegenüber an und sagt: „ Die is kroonk“.

An der Fraunhofer Straße erreiche ich wieder die Erdoberfläche. Hallo München, hier bin ich!

S 31, kurz vor Neuwiedenthal

Die Welt befindet sich in ständiger Auflösung. Wir wollen es nur nicht wahr haben. Wir tun alles, um das kindliche Gefühl der unendlichen Ewigkeit zu behalten. Ich bin immer. Die Sonne meiner Welt geht erst auf. Bis die unserer Eltern, Freunde, Bekannten, Verwandten untergeht. Die unserer Großeltern. Unserer Tanten und Onkels. Unserer Familien.

Die Wurzeln die uns getragen haben werden das Luftschloß unserer Erinnerungen. Und wir müssen auf einmal die Wurzeln sein für die, die nach uns kommen.

Ich bin traurig. Wie damals als Kind. Als mir ein Versprechen gebrochen wurde, an dessen Erfüllung ich so geglaubt hatte. Ich war maßlos enttäuscht. Erfuhr zum ersten Mal das nichts bleibt. Es gibt nichts, was diese erste Enttäuschung rückgängig machen kann.

Ich habe noch nicht viel von dem erreicht, wonach es mich drängt. Aber selbst wenn ich einmal die ganze Welt besessen haben sollte, wird das Gefühl nicht aufhören, länger leben zu wollen, um das, was es noch alles gibt, erleben zu können.

Wie sagte die 95 jährige Großtante meines Freundes, die unbedingt 100 werden wollte: „Bis Hundert sind es ja nur noch fünf Jahre!“ Ich konnte sie so verstehen.

Warum gehört das Verlieren zum Leben dazu? Wer braucht den Schmerz?

Mein einziges Zuhause ist der Gesang. Denn wenn ich singe ist immer Jetzt. Die Zeit steht. Ich kann sie für einen kleinen Moment anhalten. Der Schmerz tut noch weh, ist aber gleichzeitig nicht mehr so schlimm. Das Schöne ist schöner. Die Töne umarmen mich auf ewig. Ich habe keine Angst. Bin für immer aufgehoben.

Bus Linie 3 Richtung Bernstorffstrasse, Sonntag Abends

Na toll. Monate lang passieren die dollsten Sachen beim HVV fahren und ich philosophiere gedanklich in immer neuen Schleifen darüber, endlich diesen Blog einzurichten. Jetzt isser da und: Nischt is’!
Alles absolut im normalen, nicht erwähnenswerten Bereich.

Es nieselt. Der Bus ist feucht, der Abend wird wieder schneller dunkler. Der Restsonntag wabert träge seinem Ende entgegen.  Die Busfrequenz ist für das Wetter zu niedrig. Meine Ungeduld macht mich hibbelig. Ich plane aus Langeweile meine kommende Woche im Kopf vor und stelle fest, dass ich mal wieder mindestens zwei Leben brauche, um alles zu schaffen, was ich schaffen will. Chaos droht. Rettung naht. In der Erkenntnis, dass ich doch mittlerweile gelernt haben sollte, dass ich erfolgreich bin, wenn ich schon die Hälfte meines Planes gebacken kriege. Was die ganze Kopfluftblase wieder auf ein – machbares – Leben reduziert.

Mit neu gewonnener Bodenhaftung, und aus unerfindlichen Gründen zufriedener werdend, steige ich an der nächsten Haltestelle aus und ergebe mich auf dem Sofa, hin und her zappend, einem mittelalten James Bond und der aktuellen Tatort-Folge:

007 wird gefangen genommen, zu Madonnas Musik gefoltert, ausgetauscht, von M kaltgestellt. Jetzt nur noch James, der Doppelnull Status wurde ihm gerade aberkannt, befreit sich aus der Krankenstation, schwimmt nachts durch einen großen Fluss und läuft, wie Jesus, im offenen Pyjama, durch die Lobby eines asiatischen Nobelhotels, um sich an der Rezeption nonchalant einen Schneider, eine Flasche guten Wein und einen Frisör in die Präsidentensuite zu bestellen. Was für ein Opener!

Der Tatort dagegen ist sehr „hier und jetzt“. Das Ermittlerduo verstrickt sich in den Beziehungsgeflechten der zu observierenden Verdächtigen. Es ist auch dunkel. Das Wetter ebenfalls nicht gut und ebenfalls grau. Pärchen streiten und zerstören ihre Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. Gefahr droht. Aber subtiler, realistischer, schleichender.

Ich kann schon bald nicht mehr folgen. Bin deprimiert und beschließe, meinem Fernsehüberlebenswillen nachgebend,  beim altbewährtem „geschüttelt und nicht gerührt“ zu bleiben. Der Fortgang der Geschichte ist immer nur eine Variation. Das Ende der „Intellektuellen Soap“ bekannt. Ich schlafe noch vor den Tagesthemen.

Irgend eine Bahn, Irgendwo

Mir geht zu viel im Kopf rum. Ich habe keine Augen für die Leute. Heute ist mir egal was da draußen passiert. Sendepause. Sollen mich alle in Ruhe lassen. Basta. Aus. Ende. Weiß nicht in welcher verdammten Bahn ich gerade bin. Surfe durch die Stadt. In der Hoffnung mich zu vergessen. In der Hoffnung nirgendwo anzukommen. Setze meine Kopfhörer auf und stelle die Musik auf volle Pulle. Bisses weh tut. Bis ich in Schutt und Asche liege. Boom, boom, boom. I got a date with the night. Don’t push me, cause I’m close to the edge. Boom, boom, boom. Tür auf. Bahnsteig wechseln. Tür zu. Weiterfahren. Boom, boom. Bis ich in Schutt und Asche liege. Bis ich bereit bin nach Hause zu kriechen und den nächsten Tag zu meistern. Endlich. Boom. Boom. Boom.

Neulich in der S-Bahn aus Richtung Blankenese

Zwanzig vor Acht. Morgens. Ich sitze in der S-Bahn und fahre ziellos durch die Stadt. Mein Kumpel Dag würde sagen, ich fahre Sozialcontainer. Er läuft lieber zu Fuß. Bei Sonne, bei Schnee, bei Regen. Braucht ’ne Stunde für nich’ mal zwei Kilometer. Egal. Er hält die Menschen hier nicht aus. Ich mag das. Je nachdem, wo ich gerade bin, fahren komplett andere Leute mit mir. Ich wette, ihr könntet mir Bilder von Fahrgästen vorlegen und ich sage Euch, in welcher Linie wir uns wo gerade befinden. So viel zum Thema Bahn U- und S-Bahn fahren.

Haltestelle Reeperbahn
Jetzt beginnt das große Fahrgastcrossover. Der feine Westen muß den Kiez noch volle vier Stationen bis zum Hauptbahnhof aushalten. S-Bahn fahren hat was äußerst demokratisches. Finde ich.

Haltestelle Jungfernstieg
Noch zwei Stationen. – Als ich nach Hamburg kam, habe ich gleich im ersten Winter eine Geschichte erlebt, die zu gut für die Wahrheit ist. In der gelben Linie, Höhe Borgweg, fing ein Obdachloser an ein Feuerchen zwischen den Sitzen zu machen. Sein Kopf und Oberkörper verschwand und tauchte im Rhythmus wieder auf. Untermalt von kleinen, aufsteigenden Rauchwölkchen. Keiner und keine der anderen im Wagen haben sich getraut was zu sagen. Niemand ist hingegangen. Ein paar Fahrgäste stiegen an der nächsten Haltestelle schnell und wortlos aus. In ihren Augen Angst um ihr schnödes Leben. Ihm war schlicht und innig kalt. So ging es einige Zeit weiter. Ich glaube es waren zwei bis drei Haltestellen, bis ein Schaffner draußen das Feuerchen entdeckte und den Obdachlosen rüde aufforderte es auszumachen. Aber dalli. „Na gut“ raunzte der Opi. Seine Füße begannen laut zu trampeln. Dann Ruhe. Und Weiterfahren.

Haltestelle Hauptbahnhof
Willkommen im Supergau. In der morgendlichen Rushhour. Im Clash der Nationen, der Schichten, der Stadtteile. Willkommen im Herzen der Stadt.

02.08.10 HVV Fähre Richtung Övegönne

Sommerzeit. Es ist warm, doch der Himmel ist grau. Ich sitze oben an Deck zwischen Haufen von Touristen. Ich denke an den Sonnenuntergang auf der öffentlichen Fähre in Brisbane und  an die abenteuerlichen An- und Ablegemannöver  der Fähren der Nahverkehrsbetriebe in Bangkok. Großes Kino für umgerechnet ein paar Cent. Oder sogar All incl. im Tagesticket. Der Mut sich unter das gemeine Volk zu mischen wird mit einer prallen Ladung schönsten Lebens belohnt. Der Fluß so breit und der Himmel so hoch wie das Fernweh. Beim Fähre fahren in Hamburg hole ich mir jedes Mal ein kleines Stück davon zurück.

Heute kann sich das Wetter nicht entscheiden. Bleibt das Grau hell und licht oder wird es sich verdunkeln und beschweren bis der Regen fällt. Ein Vogel fliegt dicht vor der Nase des Schiffes vorbei, um dann senkrecht Richtung Himmel durchzustarten. Ich denke an Amina, drei, die vorgestern zu mir sagte: “Ich bin so groß wie der Himmel, aber fliegen kann ich noch nicht.“ Wobei die Betonung mit der größten Selbstverständlichkeit dieser Welt auf dem „noch“ lag. „Wenn ich ein Vogel bin kann ich fliegen.“

Ich bin tief berührt, ob so viel Unendlichkeit. Das Schiff tutet. Der Wind weht. Die Krähne haben einen neuen Container am Haken und da spricht Gott durch dieses Kind.

Sonntag Mittag, 20.6., in der Buslinie 15 von Altona in die Schanze

Der Bus ist außergewöhnlich voll. Eigentlich kein Wunder denn die Fahrt ist den ganzen Tag umsonst. Autofreier Sonntag. Wie phantastisch wäre das, wenn Bus und Bahn fahren immer umsonst wäre. Und noch viel mehr von diesen Mobilen unsere Strassen und Schienen bevölkern würden.

Ich sitze kurz vor der hinteren Eingangstür. An jeder Haltestelle kommen und gehen viele neue Menschen. Nur einmal ist der Platz an der Tür ziemlich leer und ein junger Mann in Shorts und mit Wasserflasche, offensichtlich kommt er vom Joggen, steigt ein, und bleibt in der Tür stehen. Ich werfe einen kurzen Blick auf ihn und plötzlich beginnt mein „was wäre wenn“ Gedankenspiel:

Was wäre wenn der Jogger in meinem Rücken ein Selbstmordattentäter wäre und genau jetzt eine Bombe zünden würde? In so einem unverdächtigen Moment, in so einem banalen Ausschnitt des Lebens.

“Es wäre schnell mit mir vorbei, weil sofort mein Kopf, mein Bauch, einfach alles, explodieren würde. Ich wäre schneller tot als ich den Gedanken denken könnte“ denke ich. Spontane Traurigkeit überfällt mich, weil ich wieder mal merke wie endlich das Leben ist. Und wie viele Dinge ich noch gerne erleben möchte. Aber gleich danach beruhigt es mich auch ungemein, zu wissen, das ich nicht leiden würde.

“So muß das in Israel oder in Afghanistan oder in Moskau oder sonst noch wo sein.“ Denke ich dann. Wie unsicher doch das Leben ist. Nie mehr Bus fahren? Sicherheitshalber? Das hieße wohl auch, nie mehr vor die Haustür gehen, sicherheitshalber.

Als der Bus die Sternbrücke erreicht, kommt mir, zum wiederholten mal, das „Recht auf Stadt“ und die ganze Bewegung dahinter, in den Sinn. Es zerreißt mir das Herz zu sehen, wie mein Viertel zu hip zum Leben wird und doch immer noch zu schön zum Sterben ist.

Selbst meine Nachbarn, die äußerlich so sind wie Du und ich, wollen aus der Vermietung ihrer Wohnung den maximalen Gewinn ziehen. 16 € den Quadratmeter. „Wenn über der Kneipe schon 12 € kalt gehen“ ist ihr Kommentar. „Irgendwer will unbedingt hier wohnen und wird die Wohnung zu dem Preis nehmen“ sagen sie, als wir meinen, dass das zu hoch gegriffen ist. Wo ist hier bitte schön der Unterschied zur internationalen Investorengruppe die gerade Gebäude und Häuser aufkauft um sie in Zukunft mit maximalem Gewinn wieder los zu werden? Ist das Viertel erst zerschunden wird einfach weiter gezogen. Der persönliche Vorteil ist eingefahren. Nach uns die Sinnflut.

So scheint das Gesetz der Stadt zu sein, und will doch nicht in meinen Kopf rein, der anscheinend einige Hippieideale konserviert hat. Ein bisschen benebelt von so viel Gedankenspannbreite taumele ich Richtung Fußgängerampel am Schulterblatt.